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Stiftungskonzept

 

Regiert — darin stimmt alles überein —?

Regiert muß einmal nun die liebe Menschheit sein;?

Das ist gewiß! Allein —?Quo Jure? Und von wem?

In diesen beiden Problemen sehen wir die Welt sich oft entzwein …

 

   -Christoph Martin Wieland-

 

Aufgaben und Ziele der Demokratie-Stiftung

Prof. Dr. André Kaiser und Prof. Dr. Wolfgang Leidhold 

Facetten des Demokratie-Begriffs

Das Wort Demokratie wird seit der Antike für ein breites Spektrum von politischen Ordnungsformen verwendet. Die Betrachtung des Wortgebrauchs im historischen Längsschnitt zeigt ebenso wie die im aktuellen Querschnitt, wie stark die Vorstellungen variieren. Schon die alten Griechen benutzten das Wort teils mit positiver, teils mit negativer Bewertung. In der Moderne finden wir die Demokratie zum einen als Bezeichnung für den Verfassungstyp des liberalen Rechtsstaates westlicher Provenienz, zum anderen – als Volksdemokratie – als Titel für antibürgerliche Ordnungen im Sinne der „Diktatur des Proletariats“. Selbst theokratische Formen islamischfundamentalistischer Herkunft nehmen für sich den Titel einer „wahren Demokratie“ in Anspruch. Allemal wird das Wort jedoch in einem positiven Sinne gebraucht, nämlich als jene Form der Herrschaft, die in irgendeiner Weise das Ganze des Volkes zum Souverän macht. Das ist sozusagen der Minimalkonsens der Gegenwart: Man muss um jeden Preis „demokratisch“ sein. Mit welchem Recht jedoch in all diesen Fällen von „Demokratie“ die Rede sein kann, ob es darin einen gemeinsamen Kern gibt, liegt nicht sofort auf der Hand.?Wenn wir uns vornehmen, im Rahmen dieser Stiftung Demokratie zu unserem Hauptthema zu machen und sie dabei in einem positiven Sinn zu nehmen, dann mag es vorweg nützlich sein, Demokratie zunächst versuchsweise nach dem Verständnis der westlichen Tradition auf den Begriff zu bringen. Anschließend kommen wir nicht umhin, uns durch den Facettenreichtum des Sprachgebrauchs wieder herausfordern zu lassen. Wie es aussieht, ist die Sprachverwirrung um dieses Wort selbst ein Teil unserer politischen Realität.

Von Demokratie ist im Horizont der westlichen Tradition immer dann die Rede, wenn die Repräsentation mit einer (relativ) breiten Partizipation von Bürgern verknüpft ist. Die Repräsentation wird dabei an die Hauptaufgabe der Handlungsfähigkeit gebunden, und dient damit nicht mehr dem bloßen Machtzuwachs und/oder der Bereicherung einer herrschenden Klasse. Die Partizipation beinhaltet sodann immer die Chance des Bürgers, sowohl ein politisches Amt zu bekleiden als auch die Politik in irgendeiner Weise mitzubestimmen, sei es durch Wahlen oder andere Arten der Kontrolle. Die Bedingungen, unter denen Partizipation möglich wird, sind dabei im Prinzip immer zwei: die Artikulationsfähigkeit der Bürger, sowie die Artikulationsmöglichkeit in Gestalt einer Öffentlichkeit. Um die Balance von Repräsentation, Partizipation und Artikulation zu gewährleisten, bedarf es sodann immer eines gesetzlichen Rahmens, sodass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit allemal zwei Seiten einer Medaille sind.

Das demokratische Prinzip

In seinen Ausführungen stellte Jürgen Gebhardt die These auf, dass das demokratische Prinzip sowohl den westlich-liberalen Ordnungsformen wie auch autoritären und totalitären Regimes zugrunde liegt. Der Fundamentalkonflikt zwischen diesen Formen entspringt dem demokratischen Prinzip selbst. Beide führen ihre Legitimation auf das Volk zurück.

Im Fall der autoritären und totalitären Spielarten wird freilich die Repräsentation auf plebiszitärem Weg installiert, jedoch so, dass nicht das Individuum die letzte Instanz der Partizipation bildet, sondern ein Kollektiv, nämlich das „Volk“, die „Nation“, die „Rasse“ oder die „Klasse“. Erst der Repräsentant, etwa in Gestalt einer politischen „Avantgarde“, einer „revolutionären Partei“ oder eines „Führers“, vermag den wirklichen Gesamtwillen zu artikulieren und zu realisieren. Durch Plebiszit wird dazu dem Repräsentanten die Handlungsmacht und Verantwortung – begründet durch die Annahme der Identität von Regierenden und Regierten – vollständig übertragen. Solche Regimes sind daher als plebiszitär-demokratisch zu charakterisieren.

Im Falle der repräsentativ-demokratischen Variante des westlichen liberalen Verfassungsstaates hingegen bleibt das Individuum letzte Instanz des politischen Handelns und der Repräsentation. Das „Volk“ ist dabei kein konkretes Subjekt, sondern ein Symbol mit drei Dimensionen. Es symbolisiert (1) die Gesamtheit der Individuen, die sich als Einheit durch eine Form gemeinsamer Repräsentation artikulieren; (2) den Repräsentanten und (3) die Gesamtheit derer, die durch das Handeln des Repräsentanten gebunden sind. Dies besagt Lincolns Formel von „government of the people, by the people, and for the people“.

Entwicklung und Rezeption der Demokratie im Mittelmeergebiet

Athanasios Moulakis untersuchte die Entwicklung und Rezeption von Demokratie im Horizont des Mittelmeeres. Dieser Raum gibt ein gutes Beispiel dafür ab, wie eine frühere politische und kulturelle Einheit sich in eine geographische geschiedene Divergenz entwickelt. Durch die griechische Kolonisation seit dem 8. Jahrhundert v. Chr., den Hellenismus und das Römische Reich erscheint das Mittelmeergebiet lan-ge Zeit als politisch-kulturelle Einheit, in der gemeinsame Sprache und Traditionen vorherrschen. Heute ist eine klare Aufteilung in einen Nord- und einen Südrand festzustellen. Der Nordrand hat die Fundamentaldemokratisierung vollzogen, auf die schon Jürgen Gebhardt hingewiesen hat. Der Südrand hingegen wird allenfalls durch die Ideologie eines populistischen Demokratismus geprägt. Dabei taucht nicht das Individuum als Subjekt der Freiheit auf sondern Gruppen, die sowohl auf alte Stammesverbände wie auch auf Religionsgemeinschaften (die „Urgemeinde von Medina“) oder schlichte Cliquen (etwa in Gestalt von Patronageparteien) verweisen können. Als Paradigma der Demokratie gilt dann beispielsweise die Shura, das traditionelle Sich-Beraten-Lassen des Herrschers. Die entsprechenden Vorstellungen lassen sich etwa in den Reden Hussein Hassunas (Repräsentant der Arabischen Liga bei den UN) oder bei Ghaddafi nachvollziehen.?Während Jürgen Gebhardt den inneren Konflikt um das demokratische Prinzip betonte, der sich in der westlichen Tradition zwischen der plebiszitär-demokratischen und der repräsentativ-demokratischen Variante ergab, weist die Darstellung von Athanasios Moulakis auf die  interkulturelle Dimension hin. Auch hier lässt sich feststellen, dass Demokratie als globale Konsensvokabel überlagert wird von lokalen Ideologien, von denen der demokratische Gedanke westlicher Herkunft überdeckt wird. Es bleibt lediglich eine Worthülse zurück.?Daher kann  ein Beitrag der Wissenschaft darin bestehen, die globale Sprachverwirrung um das Stichwort Demokratie zu verringern, und zugleich die Idee der Demokratie nach der westlichen Tradition (Demokratie, Verfassung, Staat und Menschenrechte als unhintergehbare Bedingungen) global zugänglich zu machen.

Ende der Systemkonkurrenz – neue Fragen

Nach dem Zusammenbruch zahlreicher autoritärer Herrschaftssysteme in Afrika, Asien und Lateinamerika und der Implosion des sowjetischen Hegemonialbereichs ist die Demokratie als einzige legitime politische Ordnung übrig geblieben. Manch einer sah darin Anlass, vom „Ende der Geschichte“ zu sprechen. Inzwischen wissen wir, dass die Demokratie in der Systemkonkurrenz zwar gesiegt hat, dies aber nicht zugleich bedeutet, dass die Welt unweigerlich auf das friedliche Zusammenleben von demokratisch verfassten Gesellschaften hinausläuft. Vielmehr zeigt sich, dass der Weg zu einer stabilen, rechtsstaatlich verfassten Demokratie je nach den kulturellen, ökonomischen und sozialen Bedingungen sehr weit sein kann und Rückschläge möglich sind. Zugleich wird dort, wo sich die Demokratie dauerhaft etabliert hat, genauer als zuvor darauf geachtet, ob und in welchem Maße sie den von ihr selbst proklamierten Normen gerecht wird.

Für die Demokratie-Stiftung ergibt sich daraus ein Fächer an Themen, die sich in drei Problemfeldern bündeln lassen:

(1)    Demokratiestabilität: Unter welchen Bedingungen ist Demokratie dauerhaft zu stabilisieren? Welche kulturellen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen sind ihr förderlich, welche nicht? In welcher Weise kann international und transnational unterstützend auf Prozesse der Konsolidierung von Demokratie eingewirkt werden? Prägend für das 20. Jahrhunderts war die durchaus schockierende Erkenntnis, dass Demokratien ein innewohnendes Potential haben, sich selbst zugrunde zu richten. Es reicht nicht, das politische Führungspersonal in periodisch wiederkehrenden Wahlen zu bestimmen – also eine elektorale Demokratie zu etablieren. Das ist nur eine notwendige Bedingung für eine stabile demokratisch verfasste Gesellschaft. Es muss eine verfassungsstaatliche Verankerung von Rechten und Regeln, an welche auch das politische Führungspersonal gebunden ist, hinzukommen. Insbesondere findet die Demokratie ihre Grenze wie auch ihre Bestimmung in der unbedingten Geltung der Menschen- und Bürgerrechte, die jeder legitimen Herrschaftsordnung vorgegeben sind.?Wie Wolfgang Merkel gezeigt hat, sperren sich vor allem die islamischen Gesellschaften gegen eine Demokratisierung in diesem Sinne. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es hier bislang noch nicht gelungen ist, eine von der religiösen Sphäre getrennte öffentliche Arena mit einem säkularen Staat zu etablieren. Dies ist aber die Voraussetzung dafür, dass sich eine demokratische Ordnung, die das Individuum und die Grund- und Menschenrechte schützt, etablieren kann.?Eine weitere, geographisch bestimmbare Gruppe von Problemgesellschaften lässt sich ausmachen: Im Afrika südlich der Sahara ist die Alternative zur Demokratie in einem erschreckenden Ausmaß nicht mehr irgendeine Spielart autoritärer Herrschaft, sondern der Zusammenbruch staatlicher Ordnung überhaupt.

(2)    Demokratiequalität: Aus der Systemkonkurrenz ist die Demokratie zwar als klarer Sieger hervorgegangen. Jetzt aber wird genauer als zuvor gefragt, ob sie das wirklich halten kann, was sie verspricht. Wie Peter Graf Kielmansegg zeigt, hat die Idee der Herrschaft des Volkes von der antiken Polis zum modernen Flächenstaat eine folgenreiche Metamorphose durchlaufen. Demokratie ist dabei mit dem Prinzip der Repräsentation einerseits, den Geltungsansprüchen des Verfassungsstaats andererseits eine Symbiose eingegangen. Daraus ergeben sich inhärente Spannungen und Widersprüche, die immer schon Anlass zur Kritik an der demokratischen Praxis gaben. Es scheint aber so, dass die Demokratie genau in dem Moment, in dem sie sich in der Systemkonkurrenz durchgesetzt hat, vor neuen Herausforderungen steht, die weitreichende Veränderungen ihrer Gestalt zur Folge haben könnten. Wie lassen sich die immer weiter reichenden Partizipationsansprüche von Teilen der Bevölkerung mit dem Funktionieren der repräsentativen, von Parteien als politischen Großorganisationen getragenen Demokratie vereinbaren? Welche Bedeutung wird und soll den modernen elektronischen Kommunikationsmedien im Prozess der Meinungs- und Willensbildung zukommen? Und vor allem: Lässt sich Demokratie mit den schon längst in Gang gesetzten Formen der politischen Entscheidungsfindung durch internationale und transnationale Organisationen – vor allem in der Europäischen Union vereinbaren? Schließlich wird immer offenbarer, dass der moderne demokratische Verfassungsstaat von Wertorientierungen zehrt, die er selbst zu produzieren nicht in der Lage ist. Demokratische politische Ordnungen sind im Kern Mechanismen dafür, unter pluralistischen gesellschaftlichen Bedingungen einen Verfahrenskonsensus für ein friedliches Miteinander zu gewährleisten. Das ist an sich eine ungeheure zivilisatorische Leistung. Man kann von ihnen nicht auch noch die Herstellung von Wertorientierungen erwarten. Das ist Sache anderer gesellschaftlicher Funktionssysteme. Die klassischen Sinnproduzenten – Religion, Nation -  fallen dafür aber angesichts der Säkularisierung und Individualisierung westlicher Gesellschaften zunehmend aus bzw. liefern im Hinblick auf die Internationalisierung und Transnationalisierung von Politik eher hinderliche Wertorientierungen.

(3)    Demokratieeffektivität: Die Zustimmungsfähigkeit demokratischer Ordnungen ergibt sich nicht nur daraus, dass für die Bürger auf nachvollziehbare Weise Partizipationsansprüche und Interessen in politische Entscheidungen münden, sondern auch daraus, dass das politische System seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellt, Probleme löst und Herausforderungen meistert. In der Bundesrepublik Deutschland wie in vielen anderen etablierten westlichen Demokratien werden daran gerade heute in der politischen Öffentlichkeit Zweifel geäußert. Zu fragen ist, inwiefern Effektivitätsprobleme tatsächlich auftreten und wie ihnen begegnet werden kann. Handelt es sich um einen systemisch angelegten Mangel an Einbindung von Expertise in politischen Entscheidungsprozessen? Sind spezifische institutionelle Arrangements in den etablierten Demokratien – immerhin den Modellen, die wir solchen Ländern, die sich im Prozess der Transition zur Demokratie befinden, zur Nachahmung empfehlen! – an defizitärer Problemlösung Schuld? Stößt der gesellschaftliche Konsensus in den westlichen Demokratien an die Grenzen seiner Tragfähigkeit, wenn es darum geht, immer geringere Verteilungsspielräume für eine Modernisierung der Sozialsysteme, eine an den internationalen Wettbewerb angepasste Volkswirtschaft, aber auch eine schlankere Verwaltung einzusetzen?

Ist der der Demokratie inhärente Modus des politischen Wettbewerbs gar grundsätzlich ungeeignet, die Interessen zukünftiger Generationen in den politischen Entscheidungsprozessen der Gegenwart zu berücksichtigen? Demokratie ist – wenn auch in unterschiedlichem Maße – Wettbewerb zwischen politischen Akteuren um die Stimmen der Bürger. Daraus lässt sich folgern, dass Demokratie als poli-tische Organisationsform vor allem gegenwartsorientiert sei: Wessen Stimmen nicht gezählt werden, dessen Bedürfnisse werden potentiell ignoriert.

Manfred G. Schmidt schlägt zur Klärung solcher Fragen vor, dass wir genauer fassen, was wir eigentlich für die unabdingbaren Voraussetzungen für Zukunftsfähigkeit halten und dann empirisch feststellen, inwiefern die modernen Demokratien sich in ihrer Bereitschaft, bereits in der Gegenwart das Notwendige für die Zukunft zu veranlassen, unterscheiden. Seine vorläufigen Befunde, die so unterschiedliche Faktoren wie Wirtschaftswachstum, aus staatlicher Verschuldung resultierende Zinslast, Ausgaben für Bildung und für Forschung und Entwicklung, Vermeidung von Schadstoffausstoß oder Umfang familienpolitischer Maßnahmen berücksichtigen, zeigen, dass sich in der Tat erhebliche Unterschiede zwischen den etablierten Demokratien feststellen lassen. Es lohnt sich also, diesen Fragen detailliert nachzugehen, um Anhaltspunkte für Reformerfordernisse zu gewinnen.

Aufgaben für die Demokratie-Stiftung

Vor dem Hintergrund der zuvor dargelegten Problemkomplexe setzt sich die Demokratie-Stiftung zum Ziel, die Idee der Demokratie in einem globalen Horizont zu fördern. Sie tut dies, indem sie die Wissenschaft unterstützt. Dabei stehen solche Aktivitäten im Mittelpunkt, die typisch für die wissenschaftliche Arbeit in Lehre und Forschung sind.

Die Demokratie-Stiftung strebt dieses Ziel auf drei Weisen an:

•    Erstens will sie zu einer verstärkten Information und Kommunikation über die mit der Demokratie als politischer Organisationsform verbundenen Chancen, aber auch Herausforderungen beitragen. Dazu dient insbesondere der Aufbau eines Demokratie-Portals für das Internet. Weiter sollte eine umfangreiche Link-Sammlung enthalten sein, die unser durchaus beeindruckendes, aber verstreut verfügbares Wissen über Demokratie leichter zugänglich macht. Schließlich sollte das Portal als Plattform für die Präsentation der Aktivitäten der Stiftung Demokratie genutzt werden.

•    Zweitens will sie in Forschung und Lehre zu einer intensiven Beschäftigung mit den genannten Problemkomplexen beitragen. Diesem Zweck dienen über die Universität hinausreichende öffentliche Veranstaltungen wie Ringvorlesungen, Roundtable-Gespräche und Symposien, Studierenden-Wettbewerbe sowie Anschubmittel für Forschungsprojekte. Die Demokratie-Stiftung strebt dabei an, die in unterschiedlichen akademischen Fächern beheimatete Expertise zusammenzuführen.

•    Drittens unterstützt sie Maßnahmen der politischen Bildung,  die zu einem verstärkten Austausch über demokratische Grundwerte und Verhaltensformen in der politischen Bildung beitragen. Diesem Zweck dienen die Gewährung von Stipendien für den wissenschaftlichen Nachwuchs, die Förderung des internationalen Schüler-, Studierenden- und Professorenaustauschs sowie die Zusammenarbeit mit Institutionen, Einrichtungen und Vereinigungen, deren Tätigkeit dem Stiftungszweck entspricht.

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